Die Mauer
Kapitel 1Die Mauer
Die folgende Reportage zeigt die palästinensische Sicht.
Das Leben hinter der Mauer
Die aktive Menschenrechtsbeobachterin aus der Schweiz und drei Palästinenser aus Jericho und Bethlehem erzählen von ihren Eindrücken hinter der Sperrzone.
SteckbriefDie Mauer
Länge: Zirka 30 Kilometer (gesamte Sperranlage 708 Kilometer)
Höhe: Acht Meter
Heutiger Stand: Zwei Drittel der gesamten
Sperranlage sind realisiert.
Fertigstellung: Die Sperranlage sollte 2005 fertiggestellt werden. Wegen Protesten beim Obersten Gerichtshof in Israel verzögerten sich die Arbeiten.
Kosten: Zirka 180 Millionen Euro (188 Millionen Schweizer Franken)
Sicht der Uno: Die Uno fordert den Rückzug aus den besetzten Gebieten.
Sicht der Israelis: Die acht Meter hohe Mauer dient als Schutz gegen Terroranschläge.
Sicht der Palästinenser: Die Mauer dient als Sicherheitsmassnahme gegen Terroranschläge, aber auch dazu, israelische Siedlungsprojekte durchzusetzen.
Die Sperranlage
Der Zaun ist elektrisch. An manchen Stellen wird er durch eine fast acht Meter hohe Mauer ersetzt. Zu 80 Prozent verläuft der Zaun nicht entlang der Grünen Linie. Dadurch werden palästinensische Dörfer von ihren eigenen Brunnen und Olivenbäumen abgeschnitten. Die am tiefsten in das Westjordanland einschneidende Sperranlage liegt über 20 Kilometer von der Waffenstillstandslinie entfernt bei Ariel.
Auf die vereinbarte Waffenstillstandslinie von 1949, die einmal Grundlage für die Grenze eines künftigen Palästinenserstaats sein sollte, wird kaum Rücksicht genommen. Das Nichtbeachten der Waffenstillstandslinie verschärft den Nahostkonflikt zusätzlich.
Kinder und Gewalt
Durch die hohe Arbeitslosigkeit und die steigende Armut müssen viele Kinder die Schule vorzeitig beenden und die Eltern finanziell unterstützen.
Breaking the Silence
Soldaten brechen ihr Schweigen und schildern, wie sie Kinder und Jugendliche schlugen, verletzten und erniedrigten. Ihre Aussagen sollen künftige Wehrpflichtige aufrütteln.
Jerusalem, die heilige Stadt – die geteilte Stadt
Die Klagemauer
Sicherheit
Obwohl es in den vergangenen Jahren kaum noch Selbstmordanschläge palästinensischer Terroristen gibt, fühlen sich die Israelis bedroht.
NGO-Aktivistin
Kapitel 2EAPPIEcumincal Accompaniment Programme in Palestine and Israel
Das Prinzip der NGO richtet sich nach dem Motto «Sehen und gesehen werden». Mit ihrer Präsenz möchte die Organisation Einfluss nehmen und den Militäreinheiten zeigen, dass sie unter Beobachtung stehen. EAPPI, das immer wieder auf der Suche nach Freiwilligen ist, setzt diese in Teams an sechs Orten im Westjordanland und in Ostjerusalem ein. Jedes Team besteht aus vier bis fünf Personen, die 23- bis zirka 75-jährig sein können und aus über 20 Ländern kommen.
Die Beobachter und Beobachterinnen arbeiten in einer Zeitspanne von mindestens drei Monaten mit kirchlichen sowie anderen Nichtregierungsorganisationen zusammen. Sie notieren und fotografieren das Erlebte und teilen nach ihrer Rückkehr ihre Erfahrungen mit der Öffentlichkeit. Somit sind sie glaubwürdige Zeugen der Konfliktsituation.
SteckbriefPia FreyDie Menschenrechtsbeobachterin
Alter: 66 Jahre
Beruf: pensioniert, diplomierte Sozialarbeiterin
Berufliche Tätigkeiten: Leitung von sozialen Institutionen, früher im Jugend- und Drogenbereich tätig, während 15 Jahren Leitung Soziale Dienste einer grossen Schweizer Agglomeration
Motivation: Akt der Solidarität mit den leidenden palästinensischen Menschen
Einsatzdauer: März bis Juni 2015
Einsatzort: Westjordanland
Aufgabe: Beobachten, rapportieren, fotografieren und dokumentieren von Menschenrechtsverletzungen, von denen sie Augenzeugin war oder durch Betroffene davon hörte.
Der Einsatz ermöglicht ihr: Eine intensive und bereichernde Lebenserfahrung. Den Einblick in ein besetztes Gebiet der systematischen Isolierung und der Vertreibung der Landbevölkerung, meist Beduinen und Hirten.
Die Felder
Menschenrechtsbeobachterin Pia Frey zeigt auf
betroffene Landabschnitte.
Die Ernte sichert die Existenz der Landbevölkerung. Bei einem Ernteausfall müssen sie das Gras als Futter für die Tiere teuer kaufen. Ungenutztes Land wird nach drei Jahren zum Staatsland. Israel nimmt sich das Recht, weitere Siedlungen darauf zu bauen. Seit 1970 werden auf dem Gebiet Militärtrainings durchgeführt. Immer wieder treten Menschen auf liegengelassene Minen und verletzen sich dabei tödlich.
Die Siedlungen
Die Siedlungen, die sich ausserhalb der Grünen Linie befinden, sind laut einem Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag aus dem Jahr 2014 illegal gebaut worden. Die Bauten werden gemäss israelischem Gesetz als «Aussenposten» bezeichnet. Die israelische Regierung fördert die legalen sowie die illegalen Siedlungen durch finanzielle Vorteile wie günstige Mietzinse oder Kaufpreise der Liegenschaften, Steuerentlastungen sowie vorteilhafte Bedingungen für Schulkinder. Die Siedlungen werden von der Armee beschützt. Durch das Ermöglichen einer besseren Lebensqualität sind es somit oft keine radikal denkenden Israelis, die in den Siedlungen wohnen, sondern mehrheitlich Normalbürger, die aufgrund der besseren Lebensbedingungen dorthin gezogen sind.
2012 zählte man rund 250 israelische Siedlungen und Aussenposten. Es wurden über 600 000 Einwohner gezählt, davon lebten 350 000 in Siedlungen im Westjordanland. In Bethlehem wurden 22 Siedlungen errichtet. Diese werden Jahr für Jahr ausgebaut und nehmen so immer mehr palästinensisches Land ein.
Die palästinensische Autonomiebehörde hat den Verkauf von Häusern und Land an Juden unter Todesstrafe gesetzt.
Das Wasser
Der Tank, der drei Kubikmeter umfasst, kostet zirka 170 israelischer Schekel (42.50 Franken). Im Winter reicht dieser Tank eine Woche. Im Sommer zwei bis drei Tage. Um das Wasser zahlen zu können, müssen die Beduinen und Hirten ihre Tiere verkaufen. So verlieren sie ihre Arbeit und ihr Einkommen. Der Kauf von Wasser aus den Tanks ist drei- bis fünfmal teurer als Wasser aus dem öffentlichen Netz.
Finanzierung des Wassers
Das israelische Militär zerstört Wasserleitungen und wichtige Strassen und erschwert somit das Leben der Beduinen und Hirten. Durch diese Einschränkungen sind viele gezwungen, aus ihrer gewohnten Umgebung wegzuziehen. Meist führt der Weg in eines der Flüchtlingslager in der Nähe der Städte.
Quelle: http://www.amnesty.ch/de/laender/naher-osten-nordafrika/israel-besetzte-gebiete/dok/2010/recht-auf-wasser/online-aktion/hintergrund/ai-report-thirsting-for-justice-englisch
Die Beduinen
Fatima al-Nawajah, gegenüber Amnesty International
Die Wirtschaft
Die meisten erwirtschafteten Produkte werden nach Israel exportiert. Palästina verliert nach und nach die Fähigkeit, mit den Gütern aus dem globalen Markt zu konkurrieren. Der daraus resultierende Niedergang der palästinensischen Wirtschaft führt zu einer allgemeinen Verarmung.
Die Beduinenkinder
Die Hauszerstörungen
Der Taxifahrer
Kapitel 3Der Taxifahrer
Hassan Al Badawi lebt mit seiner Familie in Jericho. Jericho liegt 250 Meter unter dem Meeresspiegel und ist die tiefstgelegene Stadt der Welt.
SteckbriefHassan Al Badawi Taxifahrer
Alter: 37 Jahre
Beruf: Taxifahrer
Berufstätig als Taxifahrer seit: 2006
Familie: Verheiratet, zwei Kinder
Palästina bedeutet: Heimat, die ihm keine Sicherheit bietet
Die Mauer bedeutet: Einen Fremdkörper
Seine Arbeit mit den Touristen ermöglicht: Vertrauen und Liebe zu vermitteln, das Englisch zu verbessern
Die Eltern lehrten: Liebe, Mitgefühl zu anderen, gutes soziales Netzwerk
Den eigenen Kinder lehrt er: Respekt, Liebe, Frieden und Religion
Make Hummus not walls
Hassan Al Badawi findet die Mauer absurd und überflüssig. Sein grösster Wunsch ist, dass in Palästina Sicherheit und Ruhe einkehren. Dies ist nach Hassans Aussage nur ohne die Mauer möglich.
Arbeitszeiten
Eine Erlaubnis als Taxifahrer hat er nicht, da diese 250 000 Dollar (236 800 Franken) kostet. Die Polizei kann ihm bei einer Kontrolle eine Busse von 120 US-Dollar (113 Franken) auferlegen.
Sein Wunsch
Die Touristenführer
Kapitel 4Die Touristenführer
Auch bringen sie ihre Emotionen und Eindrücke in Form von Graffiti auf der Mauer zum Ausdruck. Sie schreiben mit grossen Buchstaben Botschaften nieder. Keiner kann die Schriften übersehen.
Steckbrief Noor A'wad Die Touristenführer und Graffitikünstler
Alter: 23
Beruf: Touristenführer
Familie: Eltern, drei Brüder, eine Schwester
Glaube: Agnostiker
Palästina bedeutet: Heimat
Die Mauer bedeutet: Gefängnis
Persönlicher Wunsch für die Zukunft: Bessere Arbeit, besseres Leben, bessere Zukunft
Wunsch für Palästina: Freiheit
Bevorzugtes Graffito: Gemeinsam mit Mahmoud Obaidallah erstelltes Graffito «Make Hummus not walls»
Arbeit mit den Touristen bedeutet: Die Möglichkeit, Menschen aller möglichen Nationen über die Lage zu informieren.
Die Eltern lehrten: Menschen zu schätzen und nicht zu hassen.
Die eigenen Kinder wird er lehren: Wenn du etwas bewirken möchtest, stehe dafür ein.
SteckbriefMahmoud Obaidallah Graffitikünstler und Touristenführer
Alter: 25 Jahre
Beruf: Graffitikünstler und Touristenführer
Die Arbeit bedeutet: Ausdruck der Lebenssituation
Besonderes Erlebnis bei der Arbeit: Hat den britischen Graffitikünstler Banksy an der Mauer getroffen.
Familie: Eltern, drei Brüder, zwei Schwestern
Glaube: Muslim
Die Mauer bedeutet: Apartheid
Sein Wunsch für Palästina: Nieder mit der Mauer
Bevorzugtes Graffito: Alle Banksy-Graffiti
Arbeit mit den Touristen ermöglicht: Einen guten Weg, die Situation nach aussen zu transportieren.
Die Eltern lehrten: Zwei Menschen sind stärker als einer.
Die eigenen Kinder wird er lehren: Seid stark!
Die Graffiti
Banksy
Im August 2005 hat er diverse Motive an die Mauer gemalt. Mittlerweile sind einige Motive beschädigt oder gar übersprayt worden. Die Motive entwickeln sich zunehmend zu Touristenattraktionen.
Leila Chaled
Die Boeing 707, die von Rom nach Tel Aviv unterwegs war, wurde unter ihrer Führung zwangsweise nach Damaskus umgeleitet. Dabei zwang sie die Piloten, über ihre Heimatstadt Haifa zu fliegen. In Palästina wird sie als Freiheitskämpferin angesehen, in Israel als Terroristin.
Banksy nahm eine Aufnahme des Kriegsfotografen Eddie Adams als Vorlage für sein Graffito. Seither wird dieses Motiv immer wieder an die Mauer gesprayt.
Impressum
Foto, Video, Text, Grafik: Denise Ferrarese
Kontakt: info@dfportfolio.ch
Website: www.dfportfolio.ch
Ich danke allen Beteiligten und Mitwirkenden an der Reportage für den Einblick in ihr Leben. Ein besonderer Dank geht an Noor Aʼwad und Pia Frey für die aufschlussreichen Informationen bei der Nachrecherche.